Eine Rede an Europa 2024: Omri Boehm
Die Rede von Omri Boehm am Wiener Judenplatz ab 19 Uhr im Livestream
Wiener Festwochen

Mit seiner heutigen "Rede an Europa", die er auf Einladung der Festwochen auf dem Wiener Judenplatz hält, hat der Philosoph Omri Boehm bereits im Vorfeld heftige Kritik geerntet. Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), aber auch hochrangige Regierungspolitiker sehen mit der Abhaltung der Veranstaltung vor dem Wiener Shoah-Mahnmal dem Antisemitismus Tür und Tor geöffnet. Boehm tritt vehement für ein binationales Zusammenleben von Juden und Palästinensern in Israel ein. Hier die wesentlichen Fragen und Antworten zum Thema.

Frage: Warum gehen die Wogen wegen Omri Boehms "Europa"-Rede derart hoch?

Antwort: Der deutsch-israelische Philosoph vertritt die Auffassung, Israelis und Palästinenser sollten in einem gemeinsamen Staat zueinanderfinden: im Wege einer Föderation, die auf der Gleichheit und Gemeinsamkeit aller Staatsbürger beruht. Sie soll auf dem Gebiet von Israel vor 1967, dem Westjordanland und dem Gazastreifen etabliert werden. In seinem Buch Israel – eine Utopie plädiert Boehm obendrein für eine gemeinsame Gedenkkultur von Juden und Palästinensern. Die Erinnerung an die Shoah soll mit derjenigen an die Nakba, die Vertreibung der Araber aus Palästina, verknüpft werden. Boehms streng egalitaristische Argumentation wird im Gefolge des Massakers vom 7. Oktober 2023 von vielen Juden als unangemessen empfunden – darunter auch von führenden Vertretern der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien.

Frage: Worin besteht die Kernaussage von Boehms Philosophie?

Antwort: Boehm steht in der Tradition der universalistischen Philosophie Immanuel Kants. Der in New York lehrende Denker weist Teilansprüche – etwa von identitätspolitisch Engagierten – zurück. Die verbriefte Teilhabe an der menschlichen Würde stellt die Menschen einander gleich.

Festwochen Skandal Boehm Antisemitismus
Der deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm (44) hält Dienstagabend seine "Rede an Europa" auf dem Wiener Judenplatz – sehr zum Missvergnügen etwa der Israelitischen Kultusgemeinde.
Marzena Skubatz

Frage: Was wirft man den Wiener Festwochen vor?

Antwort: Boehm hat mit Blick auf Israels Politik wiederholt das Wort "Apartheid" verwendet. Er selbst will den Begriff ausdrücklich nicht mit dem südafrikanischen Apartheidsystem verglichen wissen. Die von ihm aufgesetzte "Rede an Europa" wird am Dienstagabend auf dem Wiener Judenplatz gehalten. IKG-Präsident Oskar Deutsch empfindet die Ortswahl wegen Boehms angeblicher Relativierung der Shoah als Affront.

Frage: Womit ist am Abend zu rechnen?

Antwort: Der ehemalige IKG-Präsident Ariel Muzicant gab an, mit Eiern nach Boehm werfen zu wollen, wenn er denn nur 30 Jahre jünger wäre. Bereits vorher hatte die Einladungspolitik der heuer erstmals vom Schweizer Milo Rau geleiteten Wiener Festwochen Entrüstungsstürme hervorgerufen. In seinen "Rat der Republik" hat das Festival Israel-Gegner und BDS-Unterstützer wie den griechischen Ex-Politiker Yanis Varoufakis und die französische Autorin Annie Ernaux eingeladen. Betitelt hat Omri Boehm seine Rede übrigens mit "Shadows of History, Spectres of the Present: The Middle East War and Europe's Challenge". Boehm erläuterte vorweg, er wolle seinen Föderationsgedanken mit Blick auf die Union vertiefen.

Frage: Wie verlief Omri Boehms erster Auftritt in Wien?

Antwort: Als der Philosoph mit Autor Daniel Kehlmann über das gemeinsam verfasste Kant-Buch Der bestirnte Himmel über mir am Montagabend im Volkstheater sprach, war etwas mehr Sicherheitspersonal vor Ort als üblich. Die beiden gingen nur kurz auf die schwelende Debatte ein. In Österreich werde "irgendwie alles zur Katastrophe oder zur reinen Lächerlichkeit", zitierte Kehlmann Gerd Bacher – daran fühle er sich erinnert. IKG-Präsident Deutsch und dessen Vorgänger Muzicant versteht Kehlmann nicht. Jemand müsse ihnen gesagt haben, Boehm sei "so arg". In Deutschland sei es üblich, dass man sich wenigstens etwas aus dem Werk der kritisierten Person "heraussucht", gegen das man dann "Einspruch erhebt". Hier aber fehlte Kehlmann ein Zitat oder ein klarer Verweis, wogegen man sei. "So geistlos muss nicht einmal Cancel-Culture sein", beendete Kehlmann seinen Exkurs auf die "Farce".

Frage: Ist Omri Boehm etwa antisemitisch?

Antwort: Boehm vertritt eine differenzierte Auffassung von der Geschichte des Zionismus, der man wiederum kritisch gegenüberstehen kann. Im Kern glaubt der Verfechter einer "Republik Haifa" eben nicht an eine Zweistaatenlösung im Nahen Osten, sondern propagiert eine "binationale Utopie". Das Existenzrecht Israels steht laut Boehm in keiner Weise zur Diskussion. Die Gleichsetzung von Antisemitismus und Antizionismus, wie sie jetzt von einigen ÖVP-Politikerinnen und -Politikern vorgenommen wurde, scheint zumindest mit Rücksicht auf den jüdischen Denker Omri Boehm fragwürdig. (Ronald Pohl, Michael Wurmitzer, 7.5.2024)